Forstliche Bundesversuchsanstalt - Index

4.7. Fruktifikation und Baumalter

Die in dieser Studie vorgenommene Alterskategorisierung der Probebäume soll Einblicke über die Wechselbeziehungen der fruktifizierenden Mykorrhizapilze mit ihren Wirtspflanzen ermöglichen. Weil die Bestandesentwicklung der hochsubalpinen Zirbenwälder in der subalpinen Stufe meist keinen typischen Entwicklungsverlauf im Sinne von seriell aufeinander folgenden Phasen zeigt (LEIBUNDGUT, 1986; SCHIECHTL & STERN, 1975), scheint das methodische Konzept der bewerteten Basisfläche mit einer entsprechenden Alterskategorisierung ein gangbarer Weg zum Studium der Dynamik der Mykorrhizaflora. Wie bei einer einheitlichen, "phasenreinen" Waldentwicklung (bes. in der montanen Stufe, vgl. MAYER, 1976; OLDEMAN, 1990) müssen wir aber auch bei den subalpinen Einzelzirben von einer altersbedingten Vegetations- und Bodenentwicklung innerhalb ihres Wirkungsbereiches (= Basisfläche) ausgehen.

Eine Differenzierung der Pilzfunde kann nicht in einen alleinigen und ursächlichen Zusammenhang mit dem physiologischen Alterszustand der Bäume gebracht werden, wie dies von GIBSON & DEACON (1988) vorgeschlagen wurde. In vitro Syntheseversuche durch HUTCHISON & PICHÉ (1995) mit early- bzw. late-stage-Pilzen und Sämlingen zeigen, daß bei der Entstehung und Etablierung von Mykorrhizen komplexe physiologische Prozesse ablaufen, die nicht unbedingt mit dem Baumalter zusammenhängen, sondern auch durch pilzliche Inhaltsstoffe, also von Seite des Mycobionten her gesteuert sein könnten. Aus mykosoziologischen Studien über die Pilzsukzession bei anderen Baumarten und auch aufgrund der Ergebnisse dieser Arbeit müssen für die Pilzsukzession komplexe Zusammenhänge angenommen werden, die sich vor allem aus den Boden- und nicht zuletzt aus den Vegetationsbedingungen ergeben, welche im Wirkungsbereich eines Baumes bzw. Baumbestandes herrschen. Zweifellos wird auch ein altersbedingter Einfluß auf den Boden durch die Physiologie der Baumwurzeln gegeben sein, doch dürfen weitere Bodenfaktoren wie Struktur, Nährstoffvorrat (inorganic/organic pool), Streuauflage, Durchlüftung, Wärmehaushalt, Wassergehalt, Alellopathie, etc. nicht außer Acht gelassen werden. Ihr Einfluß auf die Präsenz oder Absenz von bestimmten Bodenorganismen, wie es Mykorrhizapilze eben sind, ist gewiß gegeben.

Das Konzept der early/late-stage-Pilze, wie es ursprünglich von LAST et al. (1983, 1987) vorgeschlagen wurde, gründet sich primär auf den physiologischen Eigenschaften der direkt an der Symbiose beteiligten Partner. Es ist zweifellos ein brauchbares Modell zum Verständnis der symbiontischen Wechselbeziehungen in den frühesten Phasen der Waldsukzession. Wie aber KEIZER & ARNOLDS (1994) in einer Studie über die Begleitpilze der Eiche im Bereich von Grünstreifen an nordholländischen Freilandstraßen darlegen, reicht dieses nicht aus, um die Sukzession von Mykorrhizapilzen unter Freilandbedingungen und über längere Entwicklungsphasen beschreiben zu können. Gegen die Anwendung des early/late-stage-Konzeptes führen die holländischen Autoren folgende Gründe an: (1) Einige early-stage-Pilze persistieren auch am Wurzelsystem älterer Bäume, (2) einige late-stage-Pilze können bereits bei jungen Bäumen beobachtet werden, (3) Sämlinge im Bereich adulter Bäume können von late-stage-Pilze besiedelt werden und (4) late-stage-Pilze sind während etwa 90-95 % der gesamten Lebenszeit eines Baumes präsent, was eine Gliederung in Untergruppen erforderlich macht. KEIZER & ARNOLDS (1994) schlagen deshalb für die Mykorrhizapilze eine andere schematische Einteilung vor, die sich nach der Fruktifikation in den verschiedenen Waldentwicklungsphasen richtet und damit das gesamtökologische Geschehen eines Bestandes, das auf die Mykorrhizaflora wirkt und an dem sie teilnimmt, besser berücksichtigt.

Eine auf das Baum- bzw. Bestandesalter hin bezogene Evaluierung der Mykorrhizadynamik bzw. Pilzsukzession über die Funddaten dieser Studie ist aus den oben angeführten Gründen mit dem early/late-stage-Konzept und mit dem Konzept der Waldentwicklungsphasen nicht oder nur sehr schwer möglich. Einerseits wurde die früheste Baumentwicklungsphase (Naturverjüngung) zu einer möglichen Abklärung der early-stage-Pilze nicht berücksichtigt, weil in der hochsubalpinen Stufe bei Sämlingen bzw. Jungzirben (bis ca. 20 Jahre) in dieser extremen Höhenlage Pilzfruktifikationen - im besonderen von Mykorrhizapilzen - sehr selten beobachtet werden kann. Vom methodischen Gesichtspunkt her gesehen könnte eine Erhebung der early-stage-Pilze mit in situ Mykorrhiza-Untersuchungen durchgeführt werden. Abgesehen von (vielen noch relativ jungen) Aufforstungen gibt es andererseits in der hochsubalpinen Stufe selten Zirbenbestände, die durch eine einheitliche, synchronisierte Waldentwicklung charakterisiert sind. Aus diesem Grund und auch wegen anderer, methodischer Voraussetzungen (reine Bestände, Erreich- und Begehbarkeit, etc.) ist eine streng waldphasenorientierte Evaluierung der Mykorrhizapilzsukzession im Sinne von KEIZER & ARNOLDS (1994) nicht möglich. Die in dieser Studie vorgenommene Zuordnung der Pilzfunde zu den Alterskategorien der einzelnen Versuchsbäume zeigt aber eindeutig, daß ein spezifisches Verhalten der Pilze gegenüber dem Parameter Baumalter gegeben ist. Aufgrund der festgestellten Präferenzen muß angenommen werden, daß auch bei einer uneinheitlichen Entwicklung der Bestände (Versuchsflächen) zweifelsfrei Pilzsukzessionen ablaufen, wie sie sowohl für das early/late-stage-Konzept und als für das Modell der Waldphasenentwicklung beschrieben wurden. Als generelle und wesentliche Schlußfolgerung kann somit gesagt werden, daß im typischen hochsubalpinen Zirbenwald auf engstem Raum verschieden weit fortgeschrittene, pilzliche Sukzessionsphasen existieren.

Offen bleibt damit aber immer noch die Frage nach den eigentlichen Ursachen für eine baumaltersabhängige Sukzession der Mykorrhizapilze. Gewiß wird das Alter eines Baumes eine Rolle für die physiologische Attraktivität bzw. für eine unter Umständen genetisch bedingte Kompatibilität (etwa vergleichbar mit der phytopathologischen Phänomen der Altersresistenz bzw. einem entsprechendem reversen Verhalten der late-stage-Pilze) mit bestimmten Symbiosepartnern spielen, aber gerade stark dürften solche aussondernde Mechanismen nicht sein, wenn man bedenkt, daß doch fünf von sieben der häufigeren Pilzarten im Bereich von Bäumen aller Altersklassen zu finden sind. Ein aus dem Baum selbst begründeter Mechanismus müßte sich auch bei diesen Arten doch wesentlich prägnanter äußern und zu schärfer abgegrenzten altersabhängigen Gruppierungen führen.

Gerade die Präferenz zur Fruktifikation an bestimmten Kleinststandorten deutet aber an, daß die Vegetation und die mit ihr in einem sehr engen Zusammenhang stehenden Bodenbedingungen wesentlichen Einfluß auf die räumliche Verteilung der Mykorrhizapilze haben. Diese Schlußfolgerung wird vor allem durch die bereits erwähnten Untersuchungen von NEUWINGER (1963, 1967) und NEUWINGER & CZELL (1961) in der subalpinen Stufe gestützt, welche das Phänomen des mit der Bodenvegetation korrespondierenden Bodentyps anschaulich demonstrieren. Der unterhalb eines bestimmten Vegetationstyps bzw. bei unterschiedlich alten Zirben gegebene Boden ist entsprechend mannigfaltig ausgebildet und kann als ursächliche Matrix für eine bestimmte Präferenz einer Pilzart angesehen werden. Man kann also annehmen, daß die Mykorrhizadynamik primär, aber gewiß nicht ausschließlich, durch die baumaltersabhängigen Bodenbedingungen beeinflußt wird. Die Interpretation des pilzlichen Verhaltens gegenüber dem Baumalter führt somit zur begründeten Annahme einer bodenabhängigen Pilzsukzession in hochsubalpinen Zirbenwäldern. Die komplexen Vorgänge der Bodenbildung, die selbst einer Sukzession unterliegen, können als grundlegende Vorausbedingung für die Pilzentwicklung angesehen werden. Offensichtlich steht die Pilzsukzession mit den Phasen der Bodenbildung in einem engen Zusammenhang. Auch BAAR und Mitarbeiter (1995, 1996) kommen aufgrund ihrer Untersuchungen über die Mykorrhizaentwicklung bei Kiefern (Pinus sylvestris) unter unterschiedlichen Bodenbedingungen zur Schlußfolgerung, daß nicht das Altern des Baumbestandes selbst, sondern vielmehr jenes des Waldbodens als wesentlicher und entscheidender Faktor der Mykorrhizierung anzusehen ist.

Unter dem Blickwinkel der Bodensukzession kann auch das von KEIZER & ARNOLDS (1994) vorgeschlagene Konzept zur Mykorrhizadynamik von Eichenpilzen interpretiert werden. Wie bereits erwähnt, korrelieren die Autoren das Fruktifikationsgeschehen mit den durch OLDEMAN (1990) beschriebenen (typischen) Waldentwicklungsphasen, die sich nicht nur auf das Bestandesalter, sondern auch generelle Änderungen in der Waldstruktur (forest architecture) beziehen. Als mögliche, bestimmende Kriterien der Pilzsukzession führen sie nicht nur Bestandesstruktur und Baumalter an, sondern benennen weitere Faktoren, wie etwa Bodenbedingungen, Baumart, frühere Nutzungsformen an. Bei letzteren handelt es sich zweifellos um meist strukturelle und stoffliche Faktoren, die in die Matrix des Bodens eingehen und zu ureigenen Bodenparametern werden. Damit postulieren KEIZER & ARNOLDS (1994) indirekt eine weitgehend pedologische Beeinflußung des Pilzdynamik, auch wenn sie eine Gliederung der Pilzsukzession nach Waldentwicklungsphasen vornehmen.

Jene Faktoren, die auf Pilzsukzessionen wirken, aber nicht dem Boden zugehören, können in ihrer Tragweite auf die Dynamik von Mykorrhizapilzen ohne entsprechende Untersuchung nur schwer beurteilt werden. Möglich ist, daß klimatische Faktoren wie Wärmeeinstrahlung, Windverhältnisse oder Interzeption einen spezifischen Einfluß auf die Mykorflora ausüben. Solche Faktoren könnten gerade auch in ganz bestimmten Waldentwicklungsphasen wirksam werden, wenn man z. B. bedenkt, daß sich die Einstrahlungs- und Temperaturverhältnisse vor und nach einem Bestandeschluß gerade in der subalpinen Stufe sehr unterscheiden (TURNER, 1958; AULITZKY, 1961, 1962). In ihrer Kausalität wären solche Faktoren sehr wohl durch das Baumalter bzw. Bestandsalter begründet. Außerdem ist immer in Betracht zu ziehen, daß solche Faktoren lediglich auf die Fruktifikation wirken und z. B. eine Fruchtkörperbildung verhindern, obgleich ein Mykorrhizapilz im Boden des betreffenden Bestandes präsent ist. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob das mykosoziologisch festgestellte, enge Mykorrhizapilzspektrum in der Versuchsfläche Poschach-Kampfzone die tatsächlichen Mykorrhizaverhältnisse im Boden wiederspiegelt, oder ob die extremen klimatischen Bedingungen in diesem Bereich zu einer Unterdrückung der Fruktifikation von bestimmten Symbionten führt.


KelG/FieSy, 25/3/98 top Forstliche Bundesversuchsanstalt - IndexForschungPublikationen