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Österreichisches Bioindikatornetz (BIN)
Austrian Bio-Indicator Grid
Erfassung der Umweltbelastung im Görtschitztal/Kärnten mit Fichten als Bioindikatoren
Auf Grund der festgestellten massiven Kontamination mit Hexachlorbenzol (HCB) bei Futtermitteln und Milchproben im Görtschitztal wurden Nadelproben auf Hexachlorbenzol- und Quecksilbergehalte untersucht. Seit 1983 untersucht das Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) im Rahmen des Bioindikatornetzes österreichweit Immissionseinwirkungen mittels Blatt- und Nadelanalysen, zusätzlich werden 80-100 Emittenten pro Jahr mit diesem Verfahren auf forstschädliche Luftverunreinigungen überwacht. Die gesetzliche Grundlage für die Verfahren ist die „Zweite Verordnung gegen Forstschädliche Luftverunreinigungen“ (BGBl. 199/1984). Hier sind Grenzwerte für die forstschädlichen Schadstoffe Schwefel, Fluor, Chlor, Ammoniak (als Gesamtstickstoff) und Staub (Phosphor, Kalium, Calcium und Magnesium) in Bättern und Nadeln von Waldbäumen festgelegt. Diese Daten bilden die Basis für die forstfachlichen Gutachten der Landesforstbehörde, etwa bei der Industrieanlagengenehmigung, der Überwachung im forstrechtlichen Verfahren sowie in Verfahren nach dem Berg-, Abfallwirtschafts- und Gewerberecht sowie im UVP-Verfahren.

Neben den forstschädlichen Luftverunreinigungen wird die Bioindikation mit Waldbäumen auch zur Feststellung von nicht forstschädlichen Umweltbelastungen eingesetzt. So wurden in der Vergangenheit radioaktive Belastungen in Oberösterreich und im Waldviertel nach dem Unfall in Tschernobyl nachgewiesen und die Entwicklung der Belastung verfolgt. Ebenso wurde Quecksilber in Fichtennadeln in Österreich landesweit beim Bioindikatornetz gemessen und in Einzelfällen zur Ermittlung von Emittenten und zur Abgrenzung von Immissionsgebieten erfolgreich eingesetzt.

Hexachlorbenzol und Quecksilber

Hexachlorbenzol (HCB) ist ein giftiges farbloses kristallines Pulver, das früher unter anderem als Saatgutbeizmittel (Fungizid), Holzschutzmittel und Flammschutzmittel eingesetzt wurde. Seit 2004 gilt eine fast weltweit geltende Beschränkung bzw. sogar ein Verwendungsverbot. Aufgrund seiner Persistenz und Fettlöslichkeit reichert sich HCB in der Umwelt vor allem in Wachsen und Fetten an. HCB siedet bei rund 325 °C und zersetzt sich über 800 °C. Diese unter Laborbedingungen festgestellte Mindestzersetzungstemperatur ist zur Entsorgung von HCB in industriellen Anlagen deutlich höher anzusetzen.

Quecksilber ist ein giftiges Schwermetall, das anthropogen bei verschiedenen, zumeist thermischen Prozessen in die Umwelt gelangt (Sinterung von Erzen, Zement- und Ziegelwerken, Kohlekraftwerke, Chlor/Alkalielektrolyse nach dem Amalgamverfahren, Bodenausgasung von Spezialdeponien, ...). Es wird als elementares Quecksilber und als organisches Methylquecksilber über die Luft verbreitet. Der Einsatz und die Verwendung von Quecksilber sind aus Umweltschutzgründen eingeschränkt. Beide Schadstoffe finden sich auch in stark schwankenden Gehalten in der Kalkdeponie Brückl I/II (Altlast K20). Nach Abschluss der Vorarbeiten zur Sanierung erfolgte Ende Mai 2012 der Räumungsbeginn der Deponie. Nach Vorliegen der chemischen Untersuchungsergebnisse wurden die freigegebenen Aushubmaterialien auf Transport-LKWs verladen. Unbelastete und gering mit Quecksilber bzw. Chlorkohlenwasserstoffen (CKW) belastete Kalkschlämme (Gehalt im Feststoff bis 10 mg Hg/kg, CKW’s wie HCB, Hexachlorbutadien, Per- und Trichlorethylen etc.) werden einer Verwertung im Zementwerk Wietersdorf zugeführt. Insgesamt sollten 239.000 t Kalkschlamm (Blaukalk) innerhalb von sieben Jahren entsorgt werden. Nach den ersten Hinweisen auf eine HCB-Belastung im Görtschitztal gab es viele Vermutungen über die Ursachen: Kalkung mit kontaminierten Kalk, Transport des Aushubmaterial aus der Deponie Brückl, Einsatz von verbotenen Pflanzenschutzmitteln, Biomassekraftwerke, alte Bodenkontamination der landwirtschaftlichen Flächen, aber auch die unsachgemäße thermische Entsorgung (unter 800°C) von Blaukalk im Zementwerk. Im Untersuchungsgebiet gab es bereits zwei forstliche Beweissicherungsnetze (Wietersdorf, Brückl), mit deren Hilfe wurde seit mehr als 25 Jahren der mögliche Einfluss forstschädlicher Luftverunreinigungen (Schwefel, Fluor, Chlor) erhoben. Es lag nahe, auf diese bestehenden Netze zurückzugreifen.

Fichtennadelproben analysiert

Anfang Dezember 2014 wurden von der Landesforstdirektion 14 frische Fichtennadelproben geworben. Die Proben wurden geteilt und rund 150-200 g frisches Probenmaterial wurden bei der Agentur für Ernährungssicherheit (AGES) in Innsbruck auf HCB untersucht. Das restliche Material wurde am Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) auf Quecksilber untersucht, da der Blaukalk aus der Deponie in Brückl neben HCB auch Quecksilber kontaminiert ist, und Quecksilber teilweise den Filter im Zementwerk passiert. Zusätzlich konnte Quecksilber auch in den am BFW vorhandenen getrockneten Rückstellproben der letzten Jahre nachanalysiert werden. Nachdem die Auswertung der ersten HCB- und Quecksilbermessdaten durch die Abteilung 8 – UAbt. Ökologie und Monitoring und UAbt. Umweltkontrolle des Amts der Kärntner Landesregierung erhöhte Werte im Bereich des Zementwerkes Wietersdorf ausgewiesen haben, wurde das Messnetz deutlich ausgeweitet und verdichtet. Insgesamt wurden rund 110 HCB-Analysen und rund 300 Quecksilberanalysen an Fichten bis Anfang Mai 2015 durchgeführt.

Untersucht wurde ein Gebiet von Hüttenberg im Norden bis fünf Kilometer südlich von Brückl, in östlicher Richtung bis zur Saualpe und in westlicher Richtung bis ins Krappfeld. Ein Vergleich der Testergebnisse mit jenen aus Futtermitteln, Obst und Gemüse ist aber nicht zulässig. Fichtennadeln sind die gesamte Vegetationszeit, nicht nur Wochen oder Monate der Immissionsbelastung ausgesetzt.

Abgrenzung des Belastungsgebietes

Anhand der vorliegenden Karten mit den Gehalten an HCB und Quecksilber in Fichtennadeln lässt sich das Belastungsgebiet gut abgrenzen. Das Belastungsmuster in den Fichtennadeln korreliert nachvollziehbar mit der vorhandenen Windverteilung im Beurteilungsgebiet. Bei allen Interpretationen der bisher vorhandenen Untersuchungsergebnisse ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der völlig unterschiedlichen Belastung des Blaukalks durch HCB auch der Schadstoffausstoß aus dem Zementwerk äußerst heterogen war: auf Phasen sehr hoher Emissionen folgen Phasen mit geringen Emissionen. Daraus resultieren auch die unterschiedlich hohen Belastungen bei Futtermittelanalysen, Obst- und Gemüseproben im Immissionsbereich des Werkes.


Abbildung 1: Ergebnisse der HCB Analysen (mg/kg) der Probenahmen Dezember 2014 bis Anfang Mai 2015 (Nadeljahrgang 1 = Austrieb 2014)


Abbildung 2: Ergebnisse der Quecksilberanalysen (mg/kg) der Probenahmen Dezember 2014 bis Anfang Mai 2015 (Nadeljahrgang 1 = Austrieb 2014)

Auf Basis der HCB-Analysenergebnisse der beprobten Fichten (Gehalte von der Nachweisgrenze bis 0,085 mg/kg) kann festgestellt werden, dass südlich von Hüttenberg erstmals Immissionsbelastung auftritt. Im weiteren Talverlauf nehmen die HCB-Werte zum Zementwerk hin deutlich zu und südlich Richtung Eberstein wiederum entsprechend ab. Vom Zementwerk Tal auswärts Richtung SSW wurden die Schadstoffe deutlich entlang der östlichen Hänge des Krappfeldes in Richtung St. Florian verfrachtet. Die Hänge im östlichen Bereich des Görtschitztales, beginnend von Oberwieting bis südlich von Eberstein, weisen ebenfalls nachweisbare HCB-Werte auf. Ein erneuter, wenn auch nicht markanter Anstieg der HCB-Konzentration in den Fichtennadeln kann im Raum Brückl (Umgebungsbereich der Altlast) verzeichnet werden. Hier werden derzeit weitere Immissionsmessungen durchgeführt. Für Referenzwerte aus einem unbelasteten Gebiet wurden bestehende Bioindikatornetzpunkte im Lesachtal beprobt. Die HCB-Werte lagen dort unter der Nachweisgrenze. Das vorgefundene Belastungsmuster für Quecksilber in den Fichtennadeln (von 0,007 bis 0,223 mg/kg) korreliert ebenfalls nachvollziehbar mit der vorhandenen Windverteilung im Beurteilungsgebiet und zeigt (ähnlich den Ergebnissen bei HCB) zwei deutliche Belastungsräume:
  • Erstens das Umfeld des Zementwerkes mit ansteigenden Quecksilberwerten hin zum Zementwerk sowohl vom Probepunkt Semlach im Norden als auch von Eberstein im Süden.
  • Zweitens den Umgebungsbereich der Donau Chemie AG (ehemalige Chlorfabrik) mit der zugehörigen Deponie in Brückl mit Verfrachtungen bis auf die Höhe von St. Filippen.
Die im Raum Brückl analysierten Quecksilbergehalte in den Fichtennadeln zeigen höhere Konzentrationen als die Probebäume im oberen Görtschitztal. Hierfür sind diffuse Emissionen aus dem Deponiekörper der Altlast verantwortlich. Die Referenzproben aus einem unbelasteten Gebiet stammen wie bei den HCB-Analysen von einem Bioindikatornetzpunkt im Lesachtal.

Akutmaßnahmen

Aufgrund der Messergebnisse im Görtschitztal wurden rasch folgende Maßnahmen zur Immissionsreduktion von der Behörde und vom Anlagenbetreiber gesetzt:

  • Aussetzen des Bescheids zur thermischen Verwertung von Blaukalk,
  • Einbau eines zusätzlichen Quecksilberfilters im Zementwerk Wietersdorf und
  • Verringerung und Abdeckung der offenen Deponiefläche der Blaukalkdeponie Brückl sowie die Abdeckung des Deponiekörpers (sogenannte Braunware) mit nicht kontaminiertem Erdaushub (ca. 50cm) und Einsatz eines neuen Aktivkohlefilters zur Reinigung der Abluft aus dem Arbeitszelt im Deponiebereich.

Es hat sich im gegenständlichen Fall gezeigt, dass die Bioindikation mit Waldbäumen neben der klassischen Feststellung von forstschädlichen Luftverunreinigungen auch zur Umweltüberwachung nicht forstschädlicher Luftverunreinigungen geeignet ist. Am BFW lagern derzeit rund 100.000 Rückstellproben (ab 1983), diese können - sofern die Probenmenge noch ausreichend ist - auch rückwirkend auf eine Vielzahl von Schadstoffen untersucht werden, damit lässt sich die historische Entwicklung der Belastungssituation abbilden.

Autoren

Ing. Alfred Fürst, Bundesforschungszentrum für Wald (BFW), Institut für Waldschutz Abteilung Immissions- und Pflanzenanalyse, Seckendorff-Gudent Weg 8, 1131 Wien, alfred.fuerst@bfw.gv.at
Dr. Ing. Kurt Hellig, Dipl.-Ing. Gerhard Heimburger, Amt der Kärntner Landesregierung - Abteilung 8 Kompetenzzentrum Umwelt, Wasser und Naturschutz Unterabteilung ÖM - Ökologie und Monitoring, Flatschacher Straße 70, 9021 Klagenfurt am Wörthersee
Dipl.-Ing. Walter Wuggenig, Amt der Kärntner Landesregierung - Abteilung 10 Kompetenzzentrum Land und Forstwirtschaft Unterabteilung Forstwirtschaft - Landesforstdirektion, Mießtaler Straße 1, 9020 Klagenfurt am Wörthersee

Weiterführende Links

Sonderthema HCB-Görtschitztal
Bioindikatornetz
17.11.15 | Fürst, A.
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