Entwarnung im Biosphärenpark Wienerwald: derzeit keine Massenvermehrung des Buchenborkenkäfers |
Seit 2006 wurden im Biosphärenpark Wienerwald vermehrt Buchen mit absterbenden Buchenkronen beobachtet, der Buchenborkenkäfer wurde dafür verantwortlich gemacht. Katastrophenszenarien aus dem Bayerischen Wald sorgten dafür, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Eine BFW-Studie ergibt jedoch: Der Buchenborkenkäfer zeigt derzeit keine Anzeichen für eine Massenvermehrung.
Würfe durch Sturm "Emma" 2009 in der Kernzone Hengstlberg |
Der Wienerwald erhielt 2005 die UNESCO-Anerkennung als Biosphärenpark. Das rund 105.000 ha große Gebiet beinhaltet die größte zusammenhängende Laubwaldregion Mitteleuropas und erstreckt sich über 51 niederösterreichische Gemeinden und sieben Wiener Gemeindebezirke.
Neben der nachhaltigen regionalen Entwicklung und der Erhaltung wertvoller Kulturlandschaften zählt der Schutz von Ökosystemen und biologischer Vielfalt zu den Hauptzielen von Biosphärenparken. Daher wurden im Wienerwald auf etwa fünf Prozent der Fläche Kernzonen eingerichtet, in denen sich die Natur ungehindert entfalten kann. Die 37 Teilflächen mit gesamt mehr als 5.000 ha sind mosaikartig über den gesamten Biosphärenpark Wienerwald verteilt. Hier soll der "Urwald von morgen" entstehen.
Biosphärenpark Wienerwald |
Die Österreichischen Bundesforste besitzen etwa ein Drittel der Waldfläche im Biosphärenpark. Mehr als 75 Prozent der Kernzonenflächen, die zu fast 60 Prozent mit Rotbuche bestockt sind, liegen in ihren Waldgebieten. In den Kernzonen wird Laubschadholz aus Windwürfen oder anderen Schadereignissen - abgesehen von Wegesicherungsmaßnahmen - unbehandelt im Wald belassen.
Abnehmende Buchenvitalität
Seit 2006 wurden vermehrt verlichtete und absterbende Buchenkronen beobachtet, die Ursache wurde in einer Zunahme der Buchenborkenkäfer vermutet. Die Szenarien aus dem Bayerischen Wald und die Zunahme von potenziellem Brutmaterial aus Windwürfen nährte die Sorge der Waldbewirtschafter, ausgehend von den Kernzonen könnten die angrenzenden Wirtschaftswälder vom Buchenborkenkäfer befallen werden. Um diesen Befürchtungen und den Schadensbeobachtungen wissenschaftliche Aussagen gegenüberzustellen, entschlossen sich die Bundesforste im Jahr 2007 gemeinsam mit der Biosphärenpark Wienerwald Management GesmbH, das Institut für Waldschutz des Bundesforschungs- und Ausbildungszentrums für Wald, Naturgefahren und Landschaft (BFW) mit der Analyse der tatsächlichen Buchenschäden zu beauftragen.
Untersuchungen auf sechs Flächen
Nach Vorarbeiten 2007 wurden in den beiden Folgejahren Erhebungen auf
sechs Versuchsflächen durchgeführt, davon lagen vier in Kernzonen. Alle
Gebiete waren seit 2007 zumindest ein Mal einem starken Sturmereignis
ausgesetzt: Auf zwei Flächen liegen große Schadholzmengen aus mehreren
Windwürfen, auf weiteren zwei Standorten einzelne Buchen. Neben der Erfassung der Kronenzustände (Blattverlust in 5-Prozent-Stufen, Anzahl der Totäste, Anteil der Zweigdürre) von zirka 40 Buchen je Fläche und deren Veränderung innerhalb der Projektdauer wurden alle mechanischen Vorschäden sowie Krankheits- und Befallssymptome an den Wurzelanläufen, Stämmen und Kronen erhoben. Besonders alte Borkenkäferschäden oder Einbohrversuche waren von Interesse. |
Geringe Häufigkeit des Kleinen Buchenborkenkäfers
In den Lockstofffallen wurden hauptsächlich holzbrütende Borkenkäferarten der Gattungen Xyleborus und Trypodendron gefunden. Die Mengen waren - auch auf den Flächen mit liegendem Schadholz - gering: einige Dutzend pro Falle und Entleerung. Die Fangzahlen über die gesamte Vegetationszeit waren 2009 zwei- bis dreimal so hoch als im ersten Erhebungsjahr, meist 3.000 und 4.000 Käfer pro Fläche. Das Artenspektrum in den beiden Jahren war ähnlich. Mit Abstand am häufigsten wurden die holzbrütenden Borkenkäfer Xyleborus saxeseni sowie X. germanus gefangen, zusammen knapp 70 % aller Borkenkäfer. Bei diesen beiden Arten sowie T. domesticum wurden 2009 größere Zunahmen registriert.Menge aller in Lockstofffallen gefangenen holz- und rindenbrütenden Borkenkäferarten im Vergleich der Jahre 2008 und 2009 |
Ein Hauptaugenmerk lag besonders auf dem Vorkommen und dem Verhalten des Kleinen Buchenborkenkäfers Taphrorychus bicolor: Von diesem Rindenbrüter wurden nur rund 600 Stück, eine sehr geringe Anzahl, auf sämtlichen Flächen gefangen. Der Anteil steigert sich 2009 zwar auf 2,7 %, dieser Anstieg ist aber wegen der geringen absoluten Fangzahl zu relativieren. Besorgte Waldbewirtschafter hatten bei abnehmender Buchenvitalität sicher auch die anhaltend gravierende Borkenkäfer-Situation in Fichtenwäldern vor Augen. In Analogie, wenn auch nicht gänzlich vergleichbar: In Schadensgebieten werden - wie das Borkenkäfer-Monitoring des BFW zeigt - Jahre hindurch ungleich mehr Kupferstecher gefangen, Zahlen von rund 100.000 Käfern pro Falle sind keine Seltenheit.
Kein Stehendbefall bei Windwurfflächen
Zwischen 2007 und 2009 wurde kein Befall an stehendem Holz gefunden, weder im Stammbereich noch in den Ästen und auch nicht auf den Versuchsflächen mit großen Mengen an bruttauglichen Windwurfhölzern. Selbst sehr geschwächte Buchen wiesen keinen Befall auf oder konnten Einbohrungsversuche abwehren. Einzelne Versuche endeten immer bei der Anlage des Einbohrloches oder der Rammelkammer; meist waren die Löcher und Gänge durch Kallusbildung verengt. An abgebrochenen Totästen wurde die abgeschlossene, erfolgreiche Entwicklung des Kleinen Buchenborkenkäfers beobachtet, diese ging aber nicht über die der Biologie entsprechende und in der Literatur beschriebene Bedeutung hinaus.
Brutanlage vom Kleinen Buchenborkenkäfer |
Die liegenden Windwurf-Buchen wurden teilweise durch Buchenprachtkäfer Agrilus viridis sowie holz- und rindenbrütenden Borkenkäfer befallen. Befallsmuster, -stärke und der Anteil erfolgreicher Bruten variierten sowohl am einzelnen Stamm als auch im gesamten Standort sehr stark. Der Kleine Buchenborkenkäfer kann einen sehr weiten Holzfeuchtebereich nutzen. Daher wurde drei Jahre hindurch immer noch Neubefall am selben Baum registriert. Aber selbst bei erfolgreichem Abschluss wurde an den benachbarten Buchen kein Stehendbefall gefunden.
Probleme im Wurzelsystem
Auf allen Flächen waren Symptome von Fäulen im Wurzel- oder Stammbereich häufig zu sehen. Ein allgemein gültiger Zusammenhang mit schlechten Kronenzuständen konnte nicht eindeutig hergestellt werden. Jedenfalls war der Buchenanteil mit Fäulemerkmalen vor allem auf jenen Flächen am höchsten (bis 50 Prozent), welche die größten Blattverluste aufwiesen. Bei Buchen mit schlechten Kronenzuständen schienen die verursachenden Faktoren im Boden bzw. Wurzelsystem zu liegen. Abgestorbene Wurzeln bieten auch eine Eintrittspforte für Fäulen. Wenn der Boden nach langen Perioden ohne Niederschlag trocken fällt, kann dies weitere Wurzelschäden verursachen.
Bei sehr vielen Buchen auf allen Flächen fielen rissartige Schäden an den flach streichenden Wurzeln und Wurzelanläufen auf. Teilweise waren sie an allen Hauptwurzeln vorhanden. Deren Ausdehnung und Alter sowie Vorhandsein und Stärke von Überwallungen war unterschiedlich. Mechanische Verletzungen sowie direkte Einflüsse durch Frost und Sonneneinstrahlung konnten ausgeschlossen werden. Die Ursache ist noch nicht völlig geklärt, aber am wahrscheinlichsten ist es, dass diese Risse mit Stürmen zusammenhängen. Durch die Windbewegungen treten abwechselnd entgegen wirkende, mechanische Belastungen an der Wurzeloberseite auf (Scherungen aufgrund von Druckspannungen), die Faserrisse zur Folge haben.
Buchenborkenkäfer derzeit nicht primär
Aus diesen Ergebnissen kann für den bislang deutlich sekundär wirksamen Kleinen Buchenborkenkäfer keine Tendenz zum Primärschädling abgeleitet werden. Wegen ihrer mehr primären Schadwirkung kommt den Buchenprachtkäfern derzeit eine höhere Bedeutung als den Borkenkäfern zu. Obwohl die Fangzahlen 2009 stark abgenommen haben, sollte auch die Prachtkäfer-Situation beobachtet werden, bis die Rinde für eine Käferentwicklung vollständig ungeeignet ist.
Larven und Fraßgänge des Buchenprachtkäfers |
Umsetzung der Ergebnisse auf der Fläche
Die Ergebnisse aus Forschungsprojekten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort nahe zu bringen, ist integrativer Bestandteil des gesamten Forschungsengagements der Bundesforste. Die Resultate aus diesem Projekt wurden in dem Workshop "Xylobionte Käfer" am 21. Juni 2010 im Forstbetrieb Wienerwald vorgestellt. Der Teilnehmerkreis aus Naturschutzbund Niederösterreich, Ökoteam, BFW und den ÖBf-Betrieben Wienerwald und Nationalpark Donau-Auen zeigte nicht nur großes Interesse an den Ergebnissen, sondern auch Erleichterung über die vorläufige Entwarnung. Eine kritische Beobachtung der Entwicklung von Schadeinflüssen an Rotbuche ist aber zweifellos auch künftig gefragt.
AutorenGottfried Steyrer, Bundesforschungs- und Ausbildungszentrum für Wald, Naturgefahren und Landschaft, Seckendorff-Gudent-Weg 8, 1131 Wien,
Alexandra Wieshaider, Österreichische Bundesforste AG, Pummergasse 10-12, 3002 Purkersdorf