Forstschutz Aktuell
Forstliche Bundesversuchsanstalt
Nr.21/1997
Rosskastanienminiermotte

Woher kommt die Roßkastanienminiermotte wirklich?


Abstract
[Where does the horse chestnut - mining moth really come from?]
At present it seems quite certain, that Cameraria ohridella has been introduced to Austria from Macedonia (by man). But the real origin of this moth is still unknown because the insect was also introduced to Macedonia. Cameraria ohridella is strictly connected with Aesculus. Therefore the natural habitat could be one of the tertiar relict areas of Hippocastanaceae in Eastern Europe, in the Far East (Himalaya, India, etc.) or America.


Die bei uns eingeschleppte Roßkastanienminiermotte stammt wohl unzweifelhaft aus Mazedonien. Deschka (1993) sieht in ihr ein Tertiärrelikt, das daher schon seit Millionen von Jahren am Balkan vorkommt. Bereits Pschorn-Walcher (1994) jedoch führt ebenfalls Umstände an, die gegen ein natürliches Vorkommen der Art am Balkan sprechen. Meines Wissens wurde aber diesen Überlegungen nicht weiter nachgegangen. In der Literatur findet man immer wieder vor allem die folgenden 3 besonderen Eigenheiten des Schädlings angeführt, die im krassen Gegensatz zu den nächstverwandten, ähnlich lebenden Minierern der Gattung Phyllonorycter (wahrscheinlich besser bekannt als Lithocolletis) stehen:

1) Die Art wurde erst während eines Massenauftretens entdeckt und ist vor ihrer wissenschaftlichen Beschreibung, wegen des massenhaften Auftretens, bereits in der Literatur erwähnt worden. Deschka (1993) führt z.B. an, daß sie fähig ist, die größte Populationsdichte eines blattminierenden Schmetterlings zu erreichen, die er je in seiner nunmehr mehr als 30-jährigen Praxis mit blattminierenden Schmetterlingen beobachtet hat.

2) Die Art ist gekennzeichnet durch das auffallende Fehlen oder doch nur unbedeutende Vorhandensein von Raupenparasiten. Deschka (1993) vermutet, "daß die Raupen durch ein unverdauliches Fraßgift aus der Futterpflanze, für die Parasiten ungenießbar sind". Verwandte Blattminierer zeichnen sich nämlich bei uns immer durch einen besonders hohen Parasitierungsgrad aus. Das Fehlen von Parasiten und die fehlende Konkurrenz - die Roßkastanie hat in Europa nämlich praktisch keine anderen Minierer (außer 2 unbedeutenden Cnephasia-Arten), könnte auch als Erklärung für die Massenvermehrung herangezogen werden.

3) Trotz der nun schon seit zwei Jahrhunderten, weiten, künstlichen Verbreitung der Roßkastanie ist es dem Minierer nicht gelungen, selbst sein Areal zu vergrößern. Dies steht nach Deschka & Dimic (1986) im krassen Gegesatz z.B. zur Platanenminiermotte, die fast alle künstlichen Vorkommen ihres Wirtes auf der nördlichen Halbkugel bereits besiedelt oder zu Phyllonorycter messaniella, die sich vom Mediterraneum aus bis Australien und Neuseeland verbreiten konnte, und er meint, "daß bei Cameraria ohridella ein uns unbekannter, die weitere Ausbreitung limitierender Faktor anzunehmen ist". Damals war die Motte nur vom klassischen Fundort Ohrid bekannt und erst durch die Verschleppung nach Österreich hat sie sich explosionsartig verbreitet.

Alle diese Fakten sind mehr oder weniger einzigartig, würden aber sofort leicht erklärbar sein, wenn man annimmt, daß die Motte auch nach Ohrid verschleppt wurde(!), wo sie nicht in autochthonen Beständen, sondern auch nur an angepflanzten Roßkastanien gefunden wurde. Eine mögliche Einschleppung müßte natürlich nicht direkt nach Ohrid erfolgt sein, die Motte könnte sich auch dorthin ausgebreitet haben.

Woher könnte die Roßkastanienminiermotte gekommen sein?

Da sie an die Gattung Aesculus gebunden ist, ist es notwendig, die Verbreitung dieser Gattung sowie die Verbreitung der Gattung Cameraria zu beleuchten:

Die Gattung Aesculus gehört zur Familie der Hippocastanaceae und ist weltweit sehr aufgesplittert, punktförmig verbreitet - es handelt sich um eine tertiär-boreale Reliktverbreitung. Die Gattung besitzt etwa 16 Arten. Es sind 2 Arten aus Japan bekannt, 1 aus Nord-China, 1 aus Ostindien, 1 aus Nordwest-Himalaya, unsere Art aus dem Balkan und die restlichen Arten aus Nordamerika (von Süd-, Südost-, Zentral-USA, Kalifornien bis Süd-Kanada). Sie berührt daher die Tropen nur in Ostindien, ansonst ist sie in den Subtropen und den gemäßigten Zonen der nördlichen Hemisphäre einheimisch.Das Verbreitungsareal der Gattung Cameraria liegt ebenfalls im Mittleren und Fernen Osten und in Amerika und seit der Beschreibung der Mazedonischen Art auch in Europa. Nach Deschka (1993) besiedelt die Gattung 13 verschiedene Pflanzenfamilien, mit Nordamerika als dem wahrscheinlichen Massenzentrum. Nach Deschka & Dimic (1986) ist Cameraria aesculisella, die in der Ost-USA auf Aesculus glabra und Aesculus flava lebt, mit unserer Art am nächsten verwandt. Mir ist leider nicht bekannt, ob es Cameraria-Arten in Asien gibt, die an Aesculus gebunden sind.

Durch den stark gestiegenen Auslandstourismus und die zunehmenden Handelsströme bei gleichzeitig kaum wirksamen Quarantänekontrollen ist es nicht verwunderlich, daß vor allem in den letzten Jahren etliche Arten der nahe verwandten Gattungen Phyllonorycter oder Parectopa nach Europa gelangten und zwar 3 Arten aus den USA, 2 aus Mittelasien und 1 aus Japan - alle diese wahrscheinlich verschleppten Arten treten massenhaft in ihrem neuen Areal auf und haben sich, je nach Wirtspflanze, auch als bedeutende Obstbaumschädlinge bereits einen Namen gemacht.

Sollte Cameraria ohridella nach Europa verschleppt worden sein, wäre es notwendig zu wissen, welche Aesculus-Arten unserer Roßkastanie verwandtschaftlich am nächsten stehen, um vielleicht dann in deren Verbreitungsgebiet den Ursprung von Cameraria ohridella zu suchen. Die Nachführung von natürlichen Feinden (Chalcidoidea) entweder aus dem Ursprungsland des Schädlings oder von anderen an Aesculus minierenden Arten ist jedoch ein langwieriger und kostspieliger Prozeß, der auch nicht von vorneherein erfolgsversprechend ist.

C. Holzschuh
I
nstitut für Forstschutz, Forstliche Bundesversuchsanstalt, Wien


Literatur


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