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Forstschutz
Aktuell Forstliche Bundesversuchsanstalt |
Nr.21/1997 Rosskastanienminiermotte |
Zur Biologie und Populationsentwicklung der eingeschleppten Roßkastanien-Miniermotte, Cameraria ohridella
Abstract
[Biology and behavior of
Cameraria ohridella.]
The introduced horse-chestnut leafminer,
Cameraria ohridella, has 3 overlapping generations, with adults appearing
mostly in May, July, and September. The egg stage lasts from 2 to 3 weeks,
the feeding period, on average, 4 weeks, and the pupal stage in the mine
about 2 weeks, but at least 6 months in the partial 3rd generation
overwintering in the litter. Infestations of old and young trees in the
Vienna City forests, streets and parks have been excessive during the last
5 years, with 100 % defoliation and leaf fall occuring already at the End
of the 2nd generation in August. Possibly due to this food shortage, a few
mines of the 3rd generation have appeared on sycamore (Acer
pseudoplatanus). High mortality rates due to intraspecific competition for
space and food occurred during all 3 generations, intensified by the
simultaneous presence of a fungus disease (Guignardia aesculi) damaging
the leaves. Rates of predation and parasitism have so far been negligible.
Anfang der achtziger Jahre wurde am Ohrid See in Makedonien an angepflanzten Roßkastanien ein Massenauftreten einer bisher unbekannten, zu den Miniermotten (Gracillariidae, Lithocolletinae) gehörenden Art entdeckt (Simova-Tosic & Filev, 1985), die dann von Deschka & Dimic (1986) als Cameraria ohridella neu beschrieben wurde. Im Herbst 1989 wurden in St. Florian bei Linz vereinzelte Minen dieser Art gefunden und im Juni 1990 im benachbarten Enns (Puchberger, 1995). An beiden Lokalitäten kam es schon 1990/91 zu einer Übervermehrung und 1992 wurde bereits ein starker Befall über 100 km weiter östlich im Raum St. Pölten - Tullner Feld - Neulengbach festgestellt (Holzschuh & Krehan, 1992, Pschorn-Walcher, 1994).
Seither hat sich der Schädling explosionsartig fast über ganz Österreich (Krehan, 1995) und - mit Ausnahme von Liechtenstein und der Schweiz - auch in alle Nachbarländer ausgebreitet. Dabei dürften sowohl Windverdriftung der Falter als auch die passive Verschleppung von Motten und Puppen durch den Straßenverkehr eine wesentliche Rolle gespielt haben. Das Eindringen in die Alpen ging langsamer vonstatten; beispielsweise wurden in Admont im steirischen Ennstal erst 1996 einzelne Minen gefunden.
Wie und wann Cameraria ohridella nach Österreich gelangt ist und wo sie erstmals Fuß gefaßt hat, läßt sich nicht mehr klären, da erfahrungsgemäß eingeschleppte Insekten meist verspätet entdeckt werden. Dennoch scheint es sicher, daß die Art erst in den achtziger Jahren in das österreichische Alpenvorland eingeschleppt wurde, vermutlich durch Ferntransporte aus Südosteuropa.
Die späte Entdeckung des einzigen europäischen Vertreters der Gattung Cameraria ließen Zweifel aufkommen, ob die Art schon immer in den natürlichen Verbreitungsinseln von Aesculus hippocastanum am Balkan bodenständig war (Pschorn-Walcher, 1994). Deshalb wurde Material von Cameraria ohridella 1996 an Dr. D.R. Davis, Cameraria-Spezialist am US-National Museum of Natural History in Washington zur Überprüfung geschickt. Laut Davis (in litt.) "ist Cameraria ohridella von allen derzeit bekannten amerikanischen Cameraria-Arten deutlich verschieden". Daß es sich um eine der wenigen Arten der orientalischen Faunenregion handelt, ist ebenfalls unwahrscheinlich, da diese, laut Davis, vermutlich nicht zur Gattung Cameraria gehören. Derzeit muß Cameraria ohridella somit als eine südosteuropäische Reliktart der Gattung Cameraria angesehen werden, doch sollte zur Verifizierung dieser Ansicht unbedingt ihr Vorkommen und ihre Verbreitung in den Inselarealen der Roßkastanie in den Bergen von Thessalien, Epirus, in Ostalbanien und Makedonien sowie am Nordfuß der Balkankette in Bulgarien bestätigt und abgeklärt werden.
Freiland-Biologie von Cameraria ohridella
Die Freilanduntersuchungen zur Biologie wurden vor allem im Jahr 1993 (Abb. 1), weniger intensiv auch 1994 und 1996, an einer Kastanienallee rund um den bewaldeten Schloßberg von Neulengbach am Westrand des Wienerwaldes durchgeführt (Pschorn-Walcher, 1994).
Die ersten, kommaförmigen Minen wurden ab Mitte Mai sichtbar; 1996 erst ab dem 20. Mai. Die flachen Junglarven minieren nur im Palisadenparenchym als "Saftschlürfer" und erweitern die Mine kreisförmig, so daß zu Ende des 3. Larvenstadiums runde, gelbliche Altlarven vom "Gewebefresser-Typ" den Fraßplatz flächig erweitern, meist zwischen 2 Seitennerven, wodurch im Juni 3-4 cm lange, ockerfarbene Minen entstehen, die bei Massenbefall zusammenfließen können. Die erwachsenen Larven (5. Stadium) sind grau gefärbt. Sie häuten sich dann zur gelb-grünen Einspinnlarve, die einen seidigen Linsenkokon anfertigt, in dem ab Mitte Juni die Verpuppung erfolgt. Die Fraßzeit dauerte im Frühjahr meist 3-4 Wochen, bei kühlem Wetter entsprechend länger. Der Hauptfraß der 1. Generation erfolgte 1993 vom Mitte Mai bis Mitte Juni; 1996 bis Ende Juni. Die Dauer der Puppenruhe schwankte zwischen 2 und nahezu 3 Wochen. Nach dem Schlüpfen bleiben die leeren Puppenhüllen meist zur Hälfte in der Mine stecken.
Der geschilderte Entwicklungsverlauf wiederholte sich im Wienerwald noch zweimal, da insgesamt 3 Generationen pro Jahr zur Ausbildung kamen (Abb. 1). Die Motten der (2.) Sommergeneration schwärmten den ganzen Juli über; 1996 sogar bis Mitte August. Die Hauptfraßzeit erstreckte sich vor allem über den Monat August; bei kühlem Wetter bis Mitte September. Während 1993/94 nur ein geringer Teil der Puppen der 2. Generation direkt in die Winterruhe ging, war der Anteil der nicht mehr schlüpfenden Puppen im naßkalten September 1996 deutlich größer, so daß nur eine sehr schwache 3. Generation zur Ausbildung kam. Die Hauptflugzeit dieser Herbstgeneration fiel überwiegend in den September und die Hauptfraßzeit in den Oktober, wobei aber bei kühler Witterung und einsetzendem Laubfall viele Larven ihre Entwicklung nicht mehr vollenden konnten. So fiel 1996 die 3. Generation weitgehend der fortgeschrittenen Jahreszeit zum Opfer.
Die im Oktober erscheinenden Puppen der Herbstgeneration (und ein mehr oder minder großer Teil der Sommergeneration) überwinterten in den abgefallenen Blättern oder (da Kastanienlaub sich rasch zersetzt) in der Bodenstreu; die Dauer der winterlichen Puppenruhe erstreckte sich über 6-8 Monate. Es scheint eine echte Diapause vorzuliegen, welche erst durch eine längere Kälteeinwirkung gebrochen wird. In welchem Ausmaß und unter welchen Bedingungen bereits Puppen der 2. Generation in Winterruhe gehen und welcher Anteil der 3. Generation überhaupt noch zur Verpuppung kommt, bedarf genauerer Untersuchungen.
Befallsverlauf im Wienerwald
Die Miniermotte muß den westlichen Wienerwald bereits 1991 (oder früher) besiedelt haben, da im Juni 1992 am Schloßberg von Neulengbach bereits bis zu 10 Minen pro Blatt gefunden wurden. Der Befall verstärkt sich im Sommer, so daß im September schon einzelne Äste mit braunen Blättern auftreten. Von 1993 bis 1995 kam es dann jährlich zu einem exzessiven Massenbefall, der dazu führte, daß ab August praktisch alle Alleebäume (über 200) braun oder kahl wurden. Im Jahre 1996 flaute der Befall etwas ab. Durch die um 2-3 Wochen verspätete Entwicklung wurde am Südhang des Schloßberges erst Ende August, am Nordhang Anfang September, eine stärkere Blattbräunung und Vertrocknung sichtbar. Am Nordhang waren im September noch viele Äste mit teilweise grünen Blättern vorhanden, so daß an diesem Standort erstmals Minen einer schwachen 3. Generation in Erscheinung traten, die aber kaum noch zur Entwicklung kamen. In den Jahren 1993/95 gab es am Schloßberg zwar stets ein Massenschwärmen von Anfang bis Mitte September, doch verschwanden die Motten bald, da durch den totalen Kahlfraß keine Eiablage möglich war. Nur am Ortsrand von Neulengbach waren schwächer befallene Bäume und damit Entwicklungsmöglichkeiten für eine Herbstgeneration gegeben.
Der Massenbefall begann im Frühjahr stets im unteren Kronenbereich; die Wipfelregion wurde erst durch die Sommergeneration vollständig besiedelt. Neben Altbäumen wurde auch jeglicher Jungwuchs befallen. Am Braunwerden und Einrollen der Blätter war in allen Jahren der Blattbräunepilz, Guignardia aesculi, beteiligt; im Durchschnitt dürfte sein Anteil an den Blattschadsymptomen bis zu 25 % betragen haben. (Die rotbraunen Pilzflecken sind im Gegensatz zu den helleren, oberseitigen Cameraria-Minen beidseitig ausgebildet). Blattrandnekrosen durch Salzstreuung oder Trockenstreß waren im Schloßpark naturgemäß nicht zu beobachten.
Im Unterwuchs kahlgefressener Kastanien wurden im September/Oktober 1995/96 vereinzelt kleine Minen von Cameraria ohridella an Bergahorn (Acer pseudoplatanus) gesichtet, nie hingegen auf Spitz- oder Feldahorn. Ähnliche Beobachtungen wurden bereits bei Wien (Krehan, 1995) und von Dr. E. Althofer (mündl. Mitt.) im Waldviertel gemacht. Offenbar haben hier einzelne Weibchen der 3. Generation aus Mangel an geeigneten Ablageplätzen den Bergahorn - einen nahen Verwandten der Hippocastanaceae - als Ersatzwirtspflanze angenommen. Die Larven konnten aber ihre Entwicklung nicht vollenden; ob also ein Überleben auf Bergahorn möglich ist, bleibt abzuklären. Verschiedentlich wurden auch Minenfunde an der rotblühenden Roßkastanie (Aesculus x carnea) gemeldet, doch scheint dieser Bastard bisher wenig anfällig zu sein.
Populationsdynamische Aspekte
Neben der rasanten Ausbreitung von Cameraria ohridella in Mitteleuropa über ein Gebiet, das derzeit schon mehr als eine Viertelmillion Quadratkilometer umfaßt, ist vor allem der exzessive Massenbefall über mehrere Jahre hinweg, der gebietsweise fast alle Roßkastanien betreffen kann, besonders bemerkenswert. Trotz der geringen Körpergröße der Larven und deren räumlich begrenzten Fraß in Minen, können große Altbäume innerhalb von 3 Monaten (2 Generationen) vollständig braun oder kahl werden.
In den Jahren 1993/94 wurden stichprobenweise bereits in der 1. Generation Blätter mit über 100 Eiern am mittleren Fiederblatt ("Mittelfinger") gefunden und bis zu 300 Eier pro Gesamtblatt (5-7 Fiederblätter). Minenauszählungen in der 1. Junihälfte, als die ersten länglichen Minen (4. Larvenstadium) in Erscheinung traten und die noch jungen Minen schon gut erkennbar waren, ergaben oft 50-100 Minen am Mittelfinger und einen Befall von über 95 % der 5 zentralen Fiederblätter. Eine größere Zufallsprobe vom 15.6.1996 (100 Blätter von 10 verschiedenen Bäumen) wies einen Befall von 93 % der 5 zentralen Finger (d.h. mindestens 1 Mine je Fiederblatt) und im Durchschnitt knapp 10 Minen am Mittelfinger auf. Maximal wurden bis zu 50 Minen am mittleren Fiederblatt gezählt und bis zu 200 Minen (2.-4. Stadium) pro Gesamtblatt.
Bei derart hohen Befallsdichten ist klar, daß allein aus Platz- und Nahrungsmangel der Großteil der Minen nicht zur vollen Entwicklung kommen kann. So wurden in der Regel deutlich weniger als 20 Puppen pro Fiederblatt gefunden und selbst in einem großen Mittelfinger selten mehr. In solchen Fällen müssen also schon in der 1. Generation enorm hohe, konkurrenzbedingte Mortalitätsraten aufgetreten sein. Durch den ab Mai zunehmenden Blattbefall durch Guignardia werden die Entwicklungsmöglichkeiten für die Larven weiter eingeschränkt. In den folgenden Generationen verschärft sich die Resourcenkonkurrenz noch, da bei der Roßkastanie (von Nottrieben abgesehen) keine frischen Blätter mehr nachkommen. Zusätzlich tritt bei starkem Befall schon in der Sommergeneration vorzeitiger - und während der Herbstgeneration natürlicher - Laubfall auf, wodurch das Raum- und Nahrungsangebot immer knapper wird. Auf welkenden Blättern wurde auch eine erhöhte Eimortalität festgestellt und die Larven wuchsen im Hochsommer infolge verringerter Nahrungsqualität oft langsamer heran als im Frühjahr. Gegenwärtig stellen also die negativen Auswirkungen der intraspezifischen Konkurrenz um Raum für die Minenbildung und Nahrung für die Larven den bei weitem wichtigsten Mortalitätsfaktor während der Vegetationszeit dar.
Die Mortalität durch biotische Gegenspieler ist demgegenüber noch sehr gering. An einigen Ästen wurden Puppengehäuse beobachtet, die offenbar von Meisen aufgepickt waren. Die Parasitierung war am Schloßberg in allen Jahren verschwindend gering. 1993 wurden in mehr als 100 geöffneten Minen nur 5 ektoparasitische Erzwespenlarven gefunden (Pschorn-Walcher, 1994) und im September 1996 konnte bei der Sektion von 3 Proben zu je 100 älteren Minen nur eine einzige Schlupfwespenlarve gefunden werden. Die Parasitierung liegt hier noch im Promillebereich. Aus Minenproben vom Waldviertel, die von Dr. E. Altenhofer (Zwettl) durchgezüchtet wurden, schlüpften bisher vorwiegend Erzwespen (Sympiesis sereicornis, Pnigalio soemius, P. agraules, Minotetrastichus ecus, Chrysocharis pentheus, Pteromalus sp.) sowie eine Schlupfwespenart der Gattung Scambus. Im noch nicht bestimmten Parasitenmaterial von F. Lichtenberger (Waidhofen a.d. Ybbs) aus dem Linzer Raum sind neben Erzwespen auch 2 Brackwespenarten enthalten. Die von Deschka (1995) aus Steyr angemeldeten Parasiten bedürfen mehrheitlich der Nachbestimmung (S. Vidal, in litt.). An den genannten Lokalitäten waren aber die Parasitierungsraten sehr niedrig und es waren fast ausschließlich hochgradig polyphage, meist ektoparasitische Schmarotzerarten beteiligt, wie sie auch für zahlreiche andere Miniererarten typisch sind (Askew, 1980). Über die Mortalität der Puppen während der Überwinterung am Boden ist nichts bekannt; sie dürfte aber beträchtlich sein.
Eine Prognose über den weiteren Verlauf der Massenvermehrungen von Cameraria ohridella ist derzeit nicht möglich. Es ist aber anzunehmen, daß weiterhin sehr hohe Befallsdichten - zumindest im "Frontbereich" der Ausbreitung und hier speziell in den wärmeren Gebieten Mittel- und Osteuropas - auftreten werden. Ob ein ähnlich massiver Befall auch in den kühleren Regionen (nördliches Mitteleuropa, Alpengebiet) möglich sein wird, bleibt abzuwarten; ebenso muß es fraglich bleiben, ob der 1996 erstmals beobachtete, leichte Befallsrückgang im Kerngebiet der Einschleppung (österreichisches Alpenvorland) weiter anhalten wird.
H. Pschorn-Walcher
A-3040 Neulengbach, Neues Rathaus
Literatur
PfiA/1/12/97 | ![]() ![]() ![]() |