Forstschutz Aktuell Nr. 22

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Kiefernsterben in Tirol
T. Cech und B. Perny

Das seit 1991 andauernde Kiefernsterben in Niederösterreich hat ein westliches Pendant bekommen. Im Herbst 1997 erhielten wir Meldungen der Landesforstdirektion Tirol, wonach im Inntal das Absterben von Weißkiefern in teils bestandesbedrohendem Ausmaß beobachtet wurde.

Verbreitung

Die talnahen Wälder der nördlichen Flanke des Inntales zwischen Innsbruck und dem Finstermünzpaß bestehen aus teils reinen Weißkiefernbeständen, teils aus Mischbeständen von Weißkiefer und Fichte. Diese stocken auf mäßig steilen bis steilen, sehr trockenen und seichtgründigen, ehemals stellenweise beweideten Karbonatstandorten, die häufig von Felsbändern und Felsblöcken durchsetzt sind. Einzelbaumweises Absterben von Kiefern findet sich im ganzen Gebiet, stärkere Ausfälle gegenwärtig nur im Abschnitt zwischen Innsbruck (Martinswand) und Roppen (Inntalenge bei Imst) mit Schwerpunkten im Bereich von Haiming sowie in einem Talwald westlich von Silz.

Die reinen Felsstandorte scheinen etwas weniger betroffen zu sein als die üblichen seichtgründigen Kalkschuttlagen. Das Absterben der Kiefern erfolgt nicht

gruppenweise, sondern gleichmäßig über den gesamten Bestand verteilt. Stellenweise ist die Häufigkeit von toten Bäumen an Graten und Rücken höher als in Rinnen und Mulden. Der geschätzte Anteil abgestorbener und absterbender Bäume erreicht im Gebiet von Haiming über 70%, sonst zwischen 10 und 20%.

Schadensentwicklung

Nach Auskunft der Forstbehörde wird schon seit 1989 eine kontinuierliche Zunahme des Kiefernsterbens beobachtet, wobei bestandesbedrohende Ausfälle erstmals 1996 auftraten.

Untersuchungen

An den folgenden Standorten wurden im November Differentialdiagnosen an gefällten Weißkiefern durchgeführt:

_ Haiming unmittelbar an die Autobahn grenzend sowie etwa 50 Höhenmeter über dem Talboden,

_ Talwald Silz (Silzer Pirchet) und

_ Zirl, Blocksturzgelände am Fuße der Martinswand.

Krankheitsverlauf

An den untersuchten Standorten waren auffallend wenig Bäume in frühen Krankheitsstadien vorhanden. Neben Dürrlingen und schon längere Zeit abgestorbenen, noch teilweise benadelten Bäumen, gestaltete sich die okulare Differenzierung zwischen lebenden und absterbenden Bäumen aufgrund der gelbgrünen und spärlichen Benadelung der meisten Weißkiefern äußerst schwierig. Insbesondere Ursachen und Ausgangspunkt des Absterbens der Stammrinde waren schwer zu lokalisieren.

Am Standort Haiming ist das Absterben durch ein von unten nach oben fortschreitendes Abdürren der Kronenäste gekennzeichnet (Tab.1). Zuletzt finden sich nur noch wenige Zweige mit lebender Rinde und grünen Nadeln in der Oberkrone diffus verteilt. In diesem Zustand ist die Stammrinde gewöhnlich noch nicht nekrotisch. Die Verblauung der Stämme dürfte relativ spät eintreten, jedenfalls nachdem die meisten Kronenäste schon abgestorben sind. Stammumfassende Bläue fand sich lediglich bei Dürrlingen. Keiner der gefällten Bäume wies an den Hauptwurzeln Fäule auf - untersucht wurde in einem Radius von etwa 50cm um die Stämme.

Am Standort Silz lichten sich die Kronen ebenfalls von unten nach oben. Allerdings konnte hier bei einem Baum ein Bläuebeginn am Stamm in etwa 5m Höhe lokalisiert werden, bei dem jedoch kein Zusammenhang mit Käferbefall zu sehen war. An zwei Bäumen wurde Fäule der Hauptwurzeln festgestellt, wobei in einem Fall Heterobasidion annosum anhand von Fruchtkörpern nachgewiesen werden konnte.

In Zirl setzt die Verblauung erst nach dem Absterben der gesamten Krone ein.

In allen untersuchten Beständen ist die Mistel (Viscum album) ein in wechselnder Häufigkeit, meist aber massiv vorhandener Faktor. Ähnlich wie im Kamptal sterben stärker von Misteln parasitierte Kronenäste früher ab als gering befallene. Am Standort Silz ist die Ansammlung von Mistelkröpfen in Kronenmitte wahrscheinlich die Ursache für die dort häufigen Wipfelbrüche. Dennoch kann die Mistel nicht der Hauptfaktor des Kiefernsterbens sein, da durchaus auch befallsfreie Bäume absterben. Daten über die Ausbreitung der Mistel in den betroffenen Beständen sind uns nicht zugänglich, doch dürfte die starke Vermehrung erst während der letzten 10 bis 15 Jahre erfolgt sein (Tiroler Forstbehörde, mündliche Auskunft).

Der auffallendste Gegensatz zum niederösterreichischen Weißkiefernsterben ist das Fehlen pathogener Käferarten an absterbenden Bäumen. Die häufigste Käferart war ein kleiner Schwarzkiefernborkenkäfer, Pityogenes trepanatus. Dieser fand sich regelmäßig in Totästen aber nur selten in noch halbgrünen Astpartien. Ähnlich wie die anderen beobachteten Arten ist auch diese Käferart hier als Sekundärschädling einzustufen (Tabelle 1).

Der Blaue Kiefernprachtkäfer Phaenops cyanea, der in Niederösterreich vor allem lebende Weißkiefern und teilweise auch Schwarzkiefern befällt (Cech & Tomiczek1996) konnte zwar in Zirl nachgewiesen werden, dort aber ausschließlich in Dürrlingen bzw. an geschlägertem Holz. Trotz genauer Überprüfung absterbender und frisch abgestorbener Stämme konnten keine Fraßgänge dieser als Primärschädling einzustufenden Käferart im Bast gefunden werden. Ähnliches gilt für die beiden Rüsselkäferarten Pissodes pini und Pissodes piniphilus. Beide Arten waren an den untersuchten Kiefern im Silzer Talwald nur in abgestorbenem bzw. schon stark geschädigtem Bast vorhanden.

An allen untersuchten Bäumen der Standorte Haiming und Silz war an den Nadeln starker Schildlausbefall festzustellen.

Ein weiterer interessanter Faktor ist das vollständige Fehlen von pilzbedingtem Triebsterben oder Aststerben an allen drei Standorten. Obwohl es sich gerade bei den Standorten Haiming und Zirl um ausgesprochen sommerwarme Lagen handelt, erbrachte eine stichprobenartige Untersuchung keinen Nachweis der für das Triebsterben in Ostösterreich verantwortlichen Pilzarten Sphaeropsis sapinea und Cenangium ferruginosum. Auch Scleroderris-Triebsterben war nicht nachzuweisen.

Splintholznematoden der Gattung Bursaphelenchus wurden sowohl in Zirl als auch in Haiming nachgewiesen, allerdings nicht in allen untersuchten Bäumen.

Am Standort Zirl kommt zu den angeführten Faktoren noch ein weiterer dazu. Bei beiden differentialdiagnostisch untersuchten Bäumen waren praktisch alle Äste und Zweige von zahllosen kleineren und größeren Wunden übersät (Tab.1). Dabei handelt es sich um Hagel-, vor allem aber Steinschlagwunden infolge der Verwitterung der Martinswand oberhalb des Standortes. Die Verletzungen waren nur zu einem geringen Teil überwallt. In vielen Fällen waren die Zweige und Äste von den Wunden ausgehend abgestorben.

Jahrringmessungen

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Im Zuge der Differentialdiagnosen fielen Unterschiede in der Jahrringbreite auf. Deshalb wurden an einigen Stammscheiben vom Institut für Waldwachstum und Betriebswirtschaft der FBVA stichprobenartig Jahrringanalysen durchgeführt.

Dies erfolgte mit dem Ziel, Jahre mit extremen Witterungsbedingungen ( z.B. Trockenperioden) als mögliche Ursache für das Absterben aufzuspüren.

Sowohl am Standort Haiming als auch unter der Martinswand wiesen die Altkiefern (älter als 150 Jahre) seit vielen Jahrzehnten extrem geringe Radialzuwächse und damit auch entsprechend geringe Schwankungen auf. Bei diesen Bäumen war kein Jahrring mit deutlichem Zuwachsrückgang feststellbar, ab dem eine +/- kontinuierliche Abnahme der Jahrringbreite bis 1996 zu erkennen gewesen wäre.

Eine Interpretation lassen nur die jüngeren Bäume (70-90 Jahre) zu (Abb.1). Bei den Stammscheiben aus dem Silzer Talwald variierten die Jahrringbreiten

zwischen 1910 und 1975 stark (um 2-5 mm). 1976 ist der stärkste Rückgang seit 1939 zu erkennen. Nach einem geringen Anstieg 1977 zeigt die Kurve einen kontinuierlichen Zuwachsrückgang bis 1994, und danach einen letzten Abfall 1995.Im Falle des einen Baumes aus dem Bestand unterhalb der Martinswand ist ähnlich wie in Silz seit 1977 eine +- kontinuierliche Abnahme der Jahrringbreite zu erkennen. Ähnlich wie in Silz ging zuletzt der Zuwachs von 93 auf 94 sprunghaft zurück (Abb.1oben).

Klima

Klimadaten der Station Innsbruck/Flughafen wurden zusammengestellt, um herauszufinden, ob und welche klimatischen Ereignisse für die Schäden im Oberinntal verantwortlich sein könnten. Besonderes Augenmerk wurde hier auf die Niederschläge gelegt. Um etwaige Niederschlagsdefizite feststellen zu können, wurden die Abweichungen der Monatsniederschlagssummen von den 30-jährigen

Monatsmittelwerten (=100 %) berechnet. Da für das Wachstum der Pflanzen die Wasserversorgung während der Frühjahrsmonate von besonderer Bedeutung ist, wurden die prozentuellen Abweichungen für die Monate April, Mai und Juni verglichen. Defizite gegenüber dem 30-jährigen Mittel weisen in der Periode 1961-1970 nur die Frühjahrsperioden der Jahre 1963, 1968 und 1969 auf und diese Defizite sind nicht sehr hoch (84%, 80% und 95%). Im nächsten Dezennium (1971-1980) waren trockene Frühjahrsperioden häufiger: 1971 (66%), 1974 (82%), 1976 (72%), 1978 (96%) und 1980 (72%)(Abb.2).

Während des Zeitraumes von 1981und 1989 waren in Innsbruck mehrheitlich Niederschlagsdefizite im Frühjahr zu verzeichnen, so 1981 (72%), 1982 (88%), 1984 (74%), 1985 (86%), 1986 (98%), 1987 (94%) und 1988 (78%) (Abb.2).

Zwischen 1990 und 1996 waren es nur 2 Jahre, in denen weniger Frühjahrsniederschläge fielen als im 30-jährigen Mittel – nämlich 1992 (68%) und 1993 (72% )(Abb.2).

In den letzten 37 Jahren war nur zweimal festzustellen, daß zwei aufeinander folgende Jahre massive Niederschlagsdefizite im Frühjahr aufwiesen: 1980 und 1981, sowie 1992 und 1993.

Im Jahr 1980 fielen im April etwa 60% des durchschnittlichen Niederschlags und im Mai 50% – erst im Juni wurden wieder normale Werte erreicht .

1981 war der April noch trockener (54%), der Mai entsprach dem Durchschnitt und der Juni war wieder recht niederschlagsarm (62%).

1992 war der April überdurchschnittlich niederschlagsreich (137%), der Mai aber extrem trocken (11%) und auch der Juni mit 67% noch recht trocken. 1993 lagen die Niederschlagsmengen im April (90%) und im Juni (88%) nur geringfügig unter dem Durchschnitt, dafür fielen im Mai nur 38% der Normmenge.

Schlußfolgerungen

Das auffallende Fehlen von primären Schädlingen sowie das ähnliche Krankheitsbild der fortschreitenden Kronenverlichtung bei gelbgrüner Benadelung auf allen untersuchten Flächen, ließen eher auf abiotische als auf biotische Hauptursachen schließen.

Als unmittelbar maßgeblich für das Absterben der Kiefern wurde Trockenstreß vermutet.

Der an zwei Standorten festgestellte Rückgang der Jahrringbreiten seit 1977 kann zwar nicht allein mit dem bekannten Trockenjahr 1976 erklärt werden, eher schon mit den Defiziten während der ersten Hälfte der Siebzigerjahre.

Ein weiterer Zusammenhang ist aus dem verstärkten Absterben der Kiefern ab dem Jahr 1995 und den Niederschlagsdefiziten der Jahre 1992 und 1993 zu vermuten.

Zusammenfassend werden daher derzeit folgende Faktoren als ursächlich angesehen:

An allen drei Standorten stellen immer wiederkehrende Trockenjahre mit markanten Niederschagsdefiziten im Frühjahr eine außerordentlich hohe Belastung dar, wobei die Trockenperioden während der ersten Hälfte der Siebzigerjahre der wahrscheinliche Hauptfaktor, die Niederschlagsdefizite 1992 und 1993 der unmittelbare Auslöser des Absterbens sind. Darüberhinaus sind die Kiefern an den drei untersuchten Standorten von speziellen Streßfaktoren betroffen

In Zirl dürfte die massive mechanische Schädigung der Kronen durch Steinschlag eine entscheidende Rolle spielen

In Haiming hat der Autobahnbau die ohnehin schlechte Wasserversorgung vermutlich noch weiter beeinträchtigt. Nicht auszuschließen ist hier, vor allem in Autobahnnähe eine zusätzliche Schädigung durch Auftausalze (Sprühnebel).

In Silz findet sich eine Durchseuchung des Bodens mit wurzelfäuleerregenden Pilzen

Als wesentlicher Zusatzfaktor erscheint auf allen Flächen die Mistel, die vor allem auf den Flächen Haiming und Zirl sehr massiv auftritt. Vitalitätsmindernd sind ferner Schildlausbefall an den Nadeln – wenn in Massen auftretend – sowie Splintholznematoden einzustufen.

Gegenstand weiterer Untersuchung wird der Zeitraum der Mistelausbreitung in diesen Bereichen sowie die Analyse einer größere Anzahl an Baumscheiben sein. Diese Arbeiten sind für das Frühjahr 1998 geplant.

Literatur:

Cech T. & Tomiczek Ch., 1996: Zum Kiefernsterben in Niederösterreich. FS-aktuell Wien 17/18:12-13


1998-07-21 (FeiH)  Rückfragen: Thomas.Cech@bfw.gv.at
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