Forstschutz Aktuell Nr. 22

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Neodiprion sertifer: Schadauftreten in Kärntner Weißkiefernbeständen
H. Krehan

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Seit 1995 wird in verschiedenen Weißkiefernbeständen in Kärnten in den Bezirken Klagenfurt und Völkermarkt ein massives Auftreten der Kiefernbuschhornblattwespe Neodiprion sertifer beobachtet. Das Zentrum des Befalles liegt im Bereich des Thoner Waldes und des Straßenkogels südlich der Bundesstraße. Starker Befall konnte auch zwischen Wutschein, Salchendorf im Norden, Greuth im Osten, Tainach, Althofen im Süden und Pubersdorf im Westen festgestellt werden. Im letzten Jahr (1997) hat sich der Befall jedoch nochmals weiter ausgedehnt, sodaß insgesamt auf einer Fläche von ca. 5500 ha Blattwespenbefall aufgetreten ist. Schwere Fraßschäden sind in den Weißkiefernbeständen auf einer Fläche von etwa 340 ha erhoben worden (siehe Karte).

Geschichtliche Entwicklung:

1931 und 1932 trat Neodiprion sertifer (damals Lophyrus sertifer) erstmals in Österreich in größerem Ausmaß auf (Schönwiese 1935a). Die Schadensflächen lagen jedoch alle in “meist nicht voll bestockten und durch Streunutzung stark heruntergekommenen Bauernwäldern” (Schönwiese 1935b) Südkärntens (Schiefling a. Wörthersee, Ruden bei Völkermarkt, Rinkenberg b. Bleiberg und Feldkirchen). Die betroffenen Kiefernbestände waren damals demnach voneinander getrennt, sie haben jedoch u.a. gemeinsam, daß sie vorwiegend Stangenholzdimensionen aufwiesen und aus ehemaligen Eichenwäldern hervorgegangen sind. Die Gesamtschadensfläche lag bei etwa 400 ha.

Die nächste Massenvermehrung von Neodiprion sertifer in Kärnten wurde in den Jahren 1960-65 beobachtet. Diesmal jedoch entsprachen sowohl die Befallsflächen als auch die räumliche Ausbreitungstendenz der jüngsten Gradation. Auch zu dieser Zeit waren der Thonerwald und der Straßenkogel Zentrum und Ausgangspunkt des Befalls. Die Ausbreitung vor allem in Richtung Bezirk Völkermarkt war jedoch 1997 stärker ausgeprägt als in den 60er Jahren. Die Klagenfurter Befallsflächen sind etwa so groß gewesen wie heute. Aus den schriftlichen Unterlagen über den Verlauf dieser Kiefernbuschhornblattwespengradation geht hervor, daß die Befallsfläche etwa 1000 ha ausmachte. 1961 wurden ca. 500 ha mit 10 Tonnen E 605 Staub vom Flugzeug aus bekämpft. 1962 wurde der Schädling vom Boden aus mit sogenannten Schwingfeuernebelgeräten auf einer Fläche von 160 ha mit den Heißnebel-Präparaten Chlorthion forte und Forst Viton mit durchschnittlichem Erfolg bekämpft.

Der Befall ist 1965 vollständig zusammengebrochen, wobei primär die natürliche Viruserkrankung das Verenden der Raupen verursacht haben dürfte. 1963 fiel den zuständigen Bezirksforstorganen auf, daß sich der Befall mehr auf ältere Kiefernbestände erstreckt hat und dort teilweise die Wipfelpartien stark angefressen erschienen. Ebenso wurde 1965 von “lichtfarbenen Raupen mit orangeroten Köpfen” berichtet. Man führte dies auf Degenerationserscheinungen des Schädlings zurück. Aus heutiger Sicht deuten diese beiden Beobachtungen darauf hin, daß eine andere Blattwespenart, vermutlich Gilpinia pallida ebenfalls an den Fraßschäden beteiligt war. In der Literatur wird zwar von hellen, mehr grünlichgrauen Formen von vorwiegend im Sonnenschein fressenden Neodiprion-Larven bzw. von hellen alpinen Formen berichtet (Hellrigl 1996). Jedoch ist auch bei diesen keine deutlich rote Kopffärbung, sehr wohl aber die Längsstreifung im Gegensatz zur G. pallida erkennbar.

Die relativ geringe Wirksamkeit der 1961 durchgeführten Flugzeugbekämpfung mit hohem Totenfall, dürfte laut Prof. Schedl (1963: Aktenvermerk) auf den hohen Überliegeranteil zurückzuführen gewesen sein. Dadurch gab es 1962 und 1963 nochmals einen deutlich sichtbaren Schadfraß.

Aktueller Befall – Besonderheiten

Der seit 1995 beobachtete Kiefernbuschhornblattwespenbefall findet, wie bereits erwähnt, zum Großteil in genau jenen Beständen statt, wo auch Anfang der 60er Jahre eine Blattwespengradation auftrat. Es sind daher auch weitgehend dieselben Bäume betroffen, da zumindest großflächig keine zwischenzeitlichen Entnahmen und Neuaufforstungen erfolgten. Waren schon damals die befallenen Bäume für N. sertifer untypisch alt, so konzentriert sich der aktuelle Befall auf Weißkiefern der 4. Altersklasse, manche Bestände sind sogar bereits über 100 Jahre alt. Dieses Phänomen ist für Mitteleuropa einzigartig, da laut Literaturangabe nennenswerte Gradationen stets in den ersten Altersklassen von Kiefernbeständen auftreten (Pschorn Walcher 1982).

Genaue Ursachen für die Prädisposition dieser Kiefernbestände wurden bisweilen noch nicht erhoben. Kleinklimatische Besonderheiten sind ebenso möglich wie geringe Abwehrkräfte der Bäume aufgrund ungünstiger Standortsbedingungen (degenerierte, sekundäre Kiefernwälder auf ehemaligen Eichenmischwaldstandorten).

Die bisher beobachteten Befallsbilder in den Kiefernkronen entsprechen den üblichen Fraßaktivitäten von Neodiprion sertifer: Gegen Ende der Fraßaktivität der Afterraupen erscheinen die Kronen sehr stark aufgelichtet. Nach der vollständigen Ausbildung des neuen Nadeljahrganges "begrünt” sich der Bestand zusehends und der Schaden erscheint weniger augenfällig. Der Fraß hat sich bisher selten auf die neugebildeten Nadeln ausgedehnt, weshalb noch keine großflächigen Ausfälle aufgetreten sind.

1996 konnten vereinzelt Larven von Gilpinia pallida festgestellt werden. 1997 ist diese Blattwespenart jedoch nicht aufgefallen.

Befallsintensitätserhebungen

Allgemein wurde im Befallsgebiet bereits 1996 mit einem Zusammenbruch der Gradation gerechnet. Bei Stichprobenerhebungen konnten nur geringe Eigelege an (in) den Nadeln festgestellt werden. Um so überraschender war dann die 1997 erfolgte Ausweitung des Befallsareals auf über 5000 ha. Aus diesem Grund wurden die Befallsflächen gemeinsam mit der Landesforstinspektion und den betroffenen Bezirksforstinspektionen visuell taxiert. Dabei ist aufgefallen, daß die Afterraupen untypische Passivität zeigten oder bereits schlaff und ohne Lebenszeichen an den Nadeln und Zweigen hingen. Dies wurde als deutliches Indiz für die in der Regel seuchenhaft auftretende Viruskrankheit (Borellinovirus diprionis) angesehen (Abb.1).

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Im August erfolgte dann an insgesamt 19 Punkten (verteilt über das gesamte Befallsgebiet) eine Kokonzählung. Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 dargestellt.

Die Parasitierungsrate war allgemein sehr hoch, sie lag bei den Flächen mit mittlerem und stärkerem Befall bei durchschnittlich 47,75%.

Die durchschnittliche Kokon-Parasitierungsrate bei den Proben, die im Bereich der Flächen mit geringer Befallsstärke gewonnen wurden, lag dort, wo geschlossene Kokons gefunden wurden, im Mittel bei 50,2%. An manchen Standorten in Völkermarkt wurden überhaupt keine geschlossenen Kokons entdeckt. Die Kokon-Larvenparasitierung war primär durch ektoparasitoide Erzwespen verursacht. Ein großer Anteil an Larven starb auch infolge Verpilzung. Inwieweit die noch lebenden und offensichtlich gesunden Larven durch äußerlich nicht sichtbare Viren erkrankt waren kann nicht beurteilt werden. Laut Literatur (Pschorn Walcher 1982), kann diese Virose auch durch latent verseuchte Tiere über das Eistadium an die nächste Generation weitergegeben werden. Von den untersuchten Kokonlarven hatten alle lebenden Neodiprion-Individuen Puppenaugen. Es ist daher nicht wahrscheinlich, daß der Anteil der Überlieger im darauffolgenden Jahr 1999 eine Rolle spielen wird.

Eigelegezählungen

An insgesamt 6 Probepunkten wurden am 10. und 11.12.1997 Eigelegeerhebungen nach einheitlicher Vorgangsweise durchgeführt (Abb.2). Demnach wurden bei frisch gefällten Bäumen von jeweils 4 Personen die Eigelegeanzahl nach 30 minütiger aufgenommen. Dabei ergab sich eine gute Übereinstimmung zu den Kokonzahlen bzw. zu den lebend/gesunden Larven. Die Zahlen lagen (Tabelle 1) zwischen 6 und 44 Eigelege pro Baum. Die Größe der Eigelege lag bei durchschnittlich 87,3 Eiern (zwischen 50 und 143). Pro Kiefernnadel waren zwischen 7 und 11 Eier in die Nadelkante abgelegt.

Beurteilung der Erhebungsdaten

Da die Literaturangaben bezüglich kritischer Zahlen (Kokonzahlen, Eigelege) eine große Bandbreite, je nach Befallsareal, Höhenlage, geographischer Breite, etc. umfassen, kann anhand der erhobenen Kärntner Daten nur festgestellt werden, daß die Zahlen im Rahmen der Literaturangaben liegen. Nimmt man die kritische Anzahl der lebenden, vermeintlich gesunden Kokonlarven mit 100 an, so wurde diese in 2 Fällen geringfügig übertroffen. In beiden Fällen ist auch die Eigelegeanzahl am höchsten. Der hohe Kokonparasitierungsgrad von 66 bzw. 67% spricht jedoch dafür, daß die Gradation den Höhepunkt überschritten hat. Schwieriger zu beurteilen sind die Kokon– und Eigelegezahlen in den erst 1997 neu hinzugekommenen Befallsgebieten. Sie sind deutlich geringer als im Befallszentrum (Ausnahme Kokonzahlen bei Proben K4), weisen jedoch auch relativ hohen Parasitierungsgrad auf. Demnach muß man annehmen, daß auch in diesen Randgebieten die Befallsintensität nicht weiter ansteigen wird. Das konnte auch durch den hohen Anteil an offensichtlich durch die Viruskrankheit geschwächten Afterraupen am Ende der Fraßperiode bestätigt werden.

Literatur

Hellrigl, K., 1996: Forstschädliche Kiefernblattwespen in Südtirol (Hym., Symphyta: Pamphiliidae, Diprionidae). Landesabteil. Forstwirtschaft d. Autonom. Provinz Bozen-Südtirol, Schriftenreihe für wissenschaftliche Studien, Nr. 3, 90 pp.

Pschorn-Walcher, H., 1982: Symphyta, Pflanzenwespen, Buschhornblattwespen, Neodiprion sertifer. In: W. Schwenke (Ed.), Die Forstschädlinge Europas, Bd. 4. Hautflügler und Zweiflügler. P.Parey, Hamburg u. Berlin, 108-118.

Schönwiese, F., 1935a): Die Lophyrus-Kalamität 1931/32 in Kärnten. Centalbl.f.d.gesamte Forstwesen 61,2, 51-56.

Schönwiese, F., 1935b): Die Lophyrus-Kalamität 1931/32 in Kärnten. (Schluß). Centralbl.f.d. gesamte Forstwesen 61,3, 69-74.


1998-07-21  Rückfragen: hannes.krehan@fbva.bmlf.gv.at
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